Wagner-Arbitration

Das digitale Kaufrecht

Am 1. Januar 2022 trat das „digitale Schuldrecht“ in Kraft. Hiermit hat der deutsche Gesetzgeber gleich zwei EU-Richtlinien umgesetzt, nämlich die Digitale-Inhalte-Richtlinie und die Warenkauf-Richtlinie.

Beide Richtlinien haben das Ziel, den digitalen Binnenmarkt zu stärken und für ein erhöhtes Verbraucherschutzniveau zu sorgen.

Durch die Umsetzung der Richtlinien haben das allgemeine Schuldrecht [A.] und das Kaufrecht [B.] die größte Erneuerung seit der Schuldrechtsreform im Jahr 2002 erfahren. Die neuen Vorschriften sind auf Verträge anwendbar, die ab dem 01. Januar 2022 geschlossen werden.

Christin Dallmann und Lara Kerber haben die Novellierung in einer zweistündigen Präsentation für das WAGNER-Team aufbereitet. Mit diesem Beitrag werden die wichtigsten Änderungen zusammengefasst und veranschaulicht. Wie in diesen Fällen üblich, erhebt die folgende Darstellung keinen Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit und kann eine Beratung im Einzelfall nicht ersetzen.

A. Allgemeines Schuldrecht

Im allgemeinen Schuldrecht wurden in den §§ 327 ff. BGB neue vertragstypenübergreifende Regelungen eingeführt, die insbesondere digitale Produkte betreffen. Diese Regelungen sind auf sämtliche Verbraucherverträge anwendbar, die die Bereitstellung digitaler Produkte zum Gegenstand haben.

I. Abgrenzung „Digitaler Produkte“ von „Waren mit digitalen Elementen“

„Digitale Produkte“ im Sinne des § 327 BGB ist der neue Oberbegriff für digitale Inhalte (wie zum Beispiel E-Books) und digitale Dienstleistungen (wie zum Beispiel Streamingdienste). Die neuen Vorschriften sind auf beide Varianten des Begriffs anwendbar.

Dabei sind digitale Produkte von „Waren mit digitalen Elementen“ im Sinne des § 327a Abs. 3 S. 1 abzugrenzen. Bei „Waren mit digitalen Elementen“ handelt es sich um klassische Waren (d.h. bewegliche Sachen im Handelsverkehr), die ohne das digitale Element nicht bestimmungsgemäß funktionieren könnten. Diese sind gleichwohl nicht als „digitale Produkte“ zu qualifizieren, so dass die allgemeinen Vorschriften des Verbrauchs­güterkaufrechts Anwendung finden. Somit unterliegen beispielsweise ein Mobiltelefon oder eine Smartwatch, die ohne die zugrundliegende Software nutzlos wären, dem allgemeinen Verbrauchsgüterkaufrecht.

II. Produktmängel

Für digitale Produkte wurde insbesondere ein eigenständiger Produktmangelbegriff in § 327e BGB aufgestellt. Das digitale Produkt ist frei von Mängeln, wenn es entweder zum Zeitpunkt der Bereitstellung oder für die Dauer des Bereitstellungszeitraums kumulativ den subjektiven und objektiven Anforderungen und den Integrationsanforderungen entspricht. Dieser Begriff weist große Parallelen zu dem neuen Sachmangelbegriff in § 434 BGB auf, welcher unter [B.II.1.] ausführlich erläutert wird.

III. Aktualisierungspflicht des Unternehmers

Besondere Relevanz dürfte zudem die Aktualisierungspflicht des Unternehmers gemäß § 327f BGB haben. Hiernach muss der Unternehmer die von ihm vertriebenen Produkte innerhalb des Bereitstellungszeitraums bzw. innerhalb eines erwartbaren Zeitraums auf dem jeweils aktuellen Stand der Technik halten, jedenfalls im Hinblick auf Sicherheitstechnik. Die neue Aktualisierungspflicht verleiht einem Vertrag über digitale Produkte den Charakter eines Dauerschuldverhältnisses, da der Unternehmer über den Zeitpunkt des Gefahrenübergangs hinaus wiederkehrend verpflichtet ist.

Die Aktualisierungspflicht betrifft gleichermaßen Waren mit digitalen Elementen im Sinne des § 327a Abs. 3 S. 1 BGB. Unterlässt der Unternehmer eine verpflichtende Aktualisierung, so kann dies ein Sachmangel gem. § 475b Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 2 BGB begründen.  Demnach ergeben sich auch an dieser Stelle Parallelen zu dem neuen Sachmangelbegriff in § 475b BGB, welcher ebenfalls unten erwähnt wird [B.II.2.].

IV. Verjährungsfristen

Schließlich gelten neue Verjährungsfristen für die Mängel an digitalen Produkten. Grundsätzlich verjähren die Gewährleistungsrechte des Verbrauchers gemäß § 327i BGB nach zwei Jahren ab Bereitstellung. Im Falle einer dauerhaften Bereitstellung verjähren die Ansprüche zwölf Monate nach dem Ende des maßgeblichen Zeitraums. Zeigt sich ein Mangel innerhalb der Verjährungsfrist, tritt die Verjährung nicht vor dem Ablauf von vier Monaten nach dem Zeitpunkt ein, in dem sich der Mangel erstmals gezeigt hat.

B. Kaufrecht

Das kaufrechtliche Gewährleistungsregime wurde grundlegend aufgespaltet. In einem ersten Schritt ist deswegen nach der Art des Vertrages und Produktes abzugrenzen [I.]. Zudem wurden in § 434 und §§ 475b, c BGB neue Anforderungen an die Mangelfreiheit einer Kaufsache eingeführt [II.]. Die Anforderungen an die Mangelfreiheit können zudem teilweise von den Parteien durch sogenannte negative Beschaffenheitsvereinbarungen gestaltet werden [III.]. Zuletzt wurden die Gewährleistungsrechte von Verbrauchern beim Kauf gestärkt, insbesondere beim Kauf von Waren mit digitalen Elementen [IV.].

I. Abgrenzung

Im allgemeinen Kaufrecht richtet sich die Sachmangelfreiheit von analogen Kaufgegenstände wie zuvor nach § 434 BGB.

Im Verbrauchsgüterkaufrecht wurde nach Maßgabe des § 475a Abs. 1 BGB der Kauf von „digitalen Produkten“ ausgeklammert. Wenn der Kauf digitale Produkte im Sinne des § 327 Abs. 1 BGB betrifft, dann sind die Vorschriften des Verbrauchsgüterkaufs vollständig ausgeschlossen. Stattdessen finden die §§ 327 ff. BGB Anwendung.

Darüber hinaus wurde im Verbrauchsgüterkaufrecht nach Maßgabe des § 475a Abs. 2 BGB zwischen Waren mit nicht zwingend erforderlichen digitalen Produkten und Waren mit zwingend erforderlichen digitalen Produkten unterschieden. Bei dem Ersteren handelt es sich um Waren, welche auch ohne die digitalen Produkte ihren Zweck erfüllen können – zum Beispiel ein Kraftfahrzeug mit Navigationssoftware. Soweit der Mangel die in der Ware enthaltenen digitalen Produkte (im aufgeführten Beispiel die Software) betrifft, ist das Verbrauchsgüterkaufrecht ausgeschlossen. Dahingegen findet das Verbrauchsgüterkaufrecht Anwendung, soweit der Mangel die Ware selbst (im aufgeführten Beispiel das Kraftfahrzeug) betrifft.

Im Ergebnis kann sich ein Sachmangel nach drei verschiedenen Vorschriften richten.

II. Sachmangelbegriff

Innerhalb der jeweiligen Vorschriften wurden ferner die Anforderungen an einen Sachmangel neu definiert.

1. Anforderungen des § 434 BGB

Durch die Gesetzesreform ist eine Sache gem. § 434 BGB mangelfrei, wenn sie kumulativ den subjektiven, objektiven und Montageanforderungen entspricht. Demnach wurde der frühere Vorrang von Beschaffenheitsvereinbarungen durch einen „gestuften“ Sachmangelbegriff ersetzt. Grundsätzlich liegt ein Sachmangel bereits vor, wenn die Sache auch nur einer der Anforderungen nicht genügt.

Die subjektiven Anforderungen an die Sache sind gem. § 434 Abs. 2 BGB die vereinbarte Beschaffenheit (Nr. 1), die Eignung für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung (Nr. 2) und die Übergabe mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen (Nr. 3). Die neue Formulierung in § 434 Abs. 2 BGB präzisiert die Pflichten somit noch deutlicher, wobei die genannten Anforderungen im Ergebnis in der Regel auch bereits nach dem bisherigen Mangelbegriff galten.

In § 434 Abs. 3 BGB werden weiterhin die Eignung für die gewöhnliche Verwendung (Nr. 1) und die übliche Beschaffenheit (Nr. 2) als objektive Anforderungen normiert. Diese wurden durch die Beschaffenheit einer Probe oder eines Musters (Nr. 3) und die Übergabe mit dem üblichen Zubehör und den üblichen Anleitungen (Nr. 4) ergänzt. Zudem gehören zu den objektiven Anforderungen die Menge, Qualität, Haltbarkeit, Funktionalität, Kompatibilität und Sicherheit der Sache.

Zuletzt unterliegt eine Sache auch den Montageanforderungen gem. § 434 Abs. 4 BGB. Sofern eine Montage vertraglich geschuldet wird, dann entspricht die Sache den Montageanforderungen, wenn die Montage sachgemäß durchgeführt wurde (Nr. 1) oder die Montage zwar unsachgemäßen durchgeführt wurde, diese aber nicht durch den Verkäufer und nicht aufgrund eines Mangels in der von ihm überlassenen Montageanleitung beruht (Nr. 2).

2. Anforderungen der §§ 475b, c BGB

In den §§ 475b, c BGB wurde das Verbrauchsgüterkaufrecht zudem mit einem (weiteren) besonderen Sachmangelbegriff ergänzt, welcher bei Waren mit digitalen Elementen Anwendung findet. Dieser Sachmangelbegriff orientiert sich großenteils an der Neufassung des § 434 BGB, mit Ergänzung der fortlaufenden Aktualisierungspflicht, welche auch in § 327f. BGB normiert ist.

III. Möglichkeit einer negativen Beschaffenheitsvereinbarung

Durch die Einführung eines objektiven Mangelbegriffs in § 434 Abs. 3 BGB und § 475b Abs. 4 BGB stellt sich die Frage, inwiefern die Parteien durch entsprechende Vereinbarung die objektiven Anforderungen abbedingen können.

1. B2B- und C2C-Bereich

Zwischen Unternehmern (B2B) und zwischen Verbrauchern (C2C) wird der geänderte systematische Ansatz keine gravierenden Auswirkungen haben. Den Parteien steht es weiterhin frei, ausdrücklich oder konkludent eine Beschaffenheit der Kaufsache zu vereinbaren, die von den objektiven Anforderungen abweicht (negative Beschaffenheitsvereinbarung). Dies entspricht der Entscheidung des Gesetzgebers, primär die Verbraucherrechte zu stärken. Eine Übertragung auf C2C-Geschäfte würde vermutlich den kaufmännischen Verkehr zu sehr beeinträchtigen und den Käufer grundlos privilegieren.

2. B2C-Bereich

Während eine negative Beschaffenheitsvereinbarung im B2B- und C2C-Bereich grundsätzlich möglich ist, stellt § 476 Abs. 1 S. 2 BGB besondere Anforderungen auf, wenn ein Unternehmen dies gegenüber einem Verbraucher tun möchte (B2C). Auch in diesem Fall können die Parteien eine von den objektiven Anforderungen abweichende Vereinbarung treffen, diese muss jedoch den Voraussetzungen des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB genügen.

Der Unternehmer muss den Verbraucher vor Abgabe seiner Willenserklärung eigens davon in Kenntnis setzen, dass ein bestimmtes Merkmal von den objektiven Anforderungen abweicht (Nr. 1). Dabei genügt es nicht, die Abweichung nur als eine von mehreren Eigenschaften in der Produktbeschreibung anzuführen. Um zu verhindern, dass diese Information „untergeht“, ist eine räumliche Trennung von sonstigen Informationen erforderlich. Konkret könnte eine räumliche Trennung im Onlinehandel zum Beispiel durch die Einrichtung einer vom Verbraucher anzuklickenden Schaltfläche herbeigeführt werden.

Zudem muss der Verbraucher einer vertraglichen Abweichung ausdrücklich und gesondert zustimmen (Nr. 2). Der Verbraucher muss sich dabei bewusst sein, dass er eine Ware erwirbt, die von den objektiven Anforderungen an die Vertragsgemäßheit abweicht.

IV. Stärkung von Verbraucherrechten

Die Rechte des Verbrauchers wurden punktuell durch weitere Neuerungen gestärkt.

Insbesondere genügt nun bereits die (bloße) Mitteilung des Mangels durch den Verbraucher an den Unternehmer dem Erfordernis der Fristsetzung bei Rücktritt, Minderung und Schadensersatz (§ 475d Abs. 1 Nr. 1 BGB).

Zudem wurde zu Gunsten des Verbrauchers der Zeitraum für die Beweislastumkehr in § 477 BGB verlängert. Bei Auftreten eines Mangels innerhalb von einem Jahr (und nicht wie bislang binnen sechs Monaten) wird nun vermutet, dass der Mangel bereits bei Gefahrübergang vorlag.

Schließlich wurden die Voraussetzungen bei Garantien gem. § 479 BGB verschärft. Den Unternehmer treffen erweiterte Informationspflichten, insbesondere bezüglich der Rechte des Verbrauchers zur Geltendmachung von Mängeln. Zudem muss die Garantieerklärung dem Verbraucher auch ohne dessen Verlangen spätestens zum Zeitpunkt der Lieferung der Ware auf einem dauerhaften Datenträger im Sinne des § 126b S. 2 BGB zur Verfügung gestellt werden. Des Weiteren wurde in § 479 Abs. 3 BGB der Mindestinhalt einer vom Hersteller übernommenen Haltbarkeitsgarantie bestimmt.

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